Montag, 12. Januar 2015
¶ mnchml
Ich erreiche manchmal Menschen nicht, wenn sie direkt vor mir stehen. Wenn mir ihr Atem schon ins Gesicht fährt und ich nur meine Nase nach vorn nehmen muss, um sie an ihrer zu berühren. Manchmal sehe ich Menschen nicht, wenn sie direkt vor mir stehen. Weil ich zu weit entfernt bin, um zu ihnen durchzudringen. Manchmal verliere ich Menschen, obwohl ich nur die Hand auszustrecken müsste, um sie zu halten. Und manchmal breche ich Menschen das Herz, obwohl ich einst die beste Medizin für sie war. Aber ich glaube, manchmal ist das nicht schlimm. Denn der Pfad, den wir gehen, verläuft nicht immer durch das Schlaraffenland, sondern auch mal durch düstere Wälder. Das Brechen eines Herzen ist unvermeidbar, aber der Pfad hält nie an. Man kann nicht stehen bleiben um an den Blumen zu riechen. Und manchmal, sind die Schleusen aus Wut und Enttäuschung, die sich öffnen, um mein Glück zu überfluten unermesslich. Aber dann wird der Pfad weiterlaufen.



Dienstag, 23. Dezember 2014
Menschen gewöhnen sich an Dinge. Sie gewöhnen sich daran, dass wir auf einem Planeten im Weltall schweben, umgeben von Sternen. Sie geben sich damit zufrieden, dass wir nur ein ganz kleiner Teil von etwas unermesslichem sind. Dass Kontinente sich verschieben und ein Feuerball um uns schwebt. Doch ist das nicht alles wie ein Zauber? Wenn man dies nicht sieht, kann man dann überhaupt Zauberei auf der Erde sehen, wenn sie direkt vor den Augen geschehen würde? Würde man sich dann nicht auch wieder daran gewöhnen und es nicht mehr als besonders ansehen? Doch nichts ist wirklich selbstverständlich und sich an Dinge zu gewöhnen undankbar.



Sonntag, 21. Dezember 2014
Ich rannte und rannte. Streckte meine Arme in die Luft. War auf einmal frei und wusste nicht, was ich mit meiner gewonnenen Freiheit nun tun sollte. Riesige Bäume um mich herum, deren Blätter im Wind rauschten. Die Sonne brannte heiß und stechend auf mein Gesicht. Überall rankten Pflanzen mit langen Wurzeln, die einen festhalten und nie wieder hergeben können. Es zwitscherten Vögel, so laut, dass es in den Ohren wehtat. Der Wind fuhr mir durch das Haar. Ich drohte zu Stürzen. Die Bäume kamen immer dichter auf mich zu. Die Vögel pickten mit ihren Schnäbeln nach mir. Ich sank auf den Boden. War dies der Anfang vom Ende?



Montag, 15. Dezember 2014
Sie kam aus dem kleinen Café an der Straßenecke. Ihre Louboutin klapperten auf dem Asphalt, als sie die Allee hinunter lief. Ihr Gesicht war unter einer großen, schwarzen Sonnenbrille und einem mächtigen Schlapphut versteckt. Die roten Lippen waren gespitzt. Sie mochte das Gefühl andere Leute ansehen zu können, ohne dabei ertappt zu werden. Sie war die stille Beobachterin, eine Zuschauerin, der Geschehnisse des Alltags anderer Menschen. Der Wind ließ ihren Wollschal wehen und sie schlug ihren Kragen hoch. Die Dame verschwand hinter einer Ecke.

Er schlurfte mit dem Farbeimer in der Hand planlos durch die Stadt. Kein festes Ziel vor Augen, keiner der auf ihn wartete. Seine Latzhose war mit Farbe beschmiert, die Mütze saß schief auf seinen dunklen Locken. Die Menschen musterten ihn, bemerkten seinen Fehler und schauten verlegen weg. Er kannte sie alle. Die Blicke. Die weit aufgerissenen Augen. Die erstaunten Falten auf der Stirn, wenn sie sahen, dass sein rechter Arm fehlte. Ja, sie nannten dies einen Fehler, dabei war der See aus Egoismus und Furcht vor Menschen die anders waren, ein viel größerer.

Selbstbewusst ging sie ihren Weg. Innerlich angespannt. Die U-Bahn Station war nur noch ein paar Blocks entfernt. Sie wollte die Überlegene sein. Die Schöne. Die Reiche. Keine U-Bahnfahrerin. Keine die auf den gelben Plastiksitzen müde zwischen den Obdachlosen und Müttern mit ihren dutzend Kindern saß. Dies war nicht ihre Welt. Die Bäume warfen ihr Herbstlaub ab, ein Blatt verfing sich in ihrem roten Haar. Eine Träne lief über ihre Wange.

Er entschied sich dafür, die Nacht im Bahnhof zu verbringen. Halbwegs annehmbares Klima, weniger Betrunkene und Spinner als unter der Brücke. Seine dunklen Augen suchten sich einen Weg durch das Gedränge zum U-Bahn Schacht. Er mochte Bahnhöfe. Ein ständiges Kommen und Gehen. Jeder ein anderes Ziel. Eine andere Geschichte. Aber dennoch alle am gleichen Ort versammelt für einen kurzen Augenblick, bis sie in den nächsten Zug einstiegen oder die Treppen hinauf zur Straße nahmen. Er setzte sich auf eine Bank, die Füße von sich gestreckt, beobachtete er die Leute.

Sie stieg die Stufen hinunter. Die Sonnenbrille gerade gerückt, die Handtasche fest umklammert. Ihr einziger Anker in dieser anderen Welt. Die Hektik überflutete sie wie eine Welle, als sie die Bahnhofshalle betrat und sie versank in dem Meer von Menschen, die alle in verschiedenen Richtungen an ihr vorbei strömten. Ein einarmiger Maler saß auf einer Bank. Er beobachtete sie. Sie gehörte nicht hier her. Hatte ein anderes Leben. Außerhalb der versiften und verklebten U-Bahn Hallen. Die Bahn fuhr ein. Laut quietschend versuchte sie zum Stehen zu kommen. Ein warmer Luftzug kam beim Einfahren aus dem U-Bahn Schacht und wirbelte ihr den großen Hut vom Kopf. Ihre roten Locken flogen herum, sie wollte den Hut greifen doch er flog auf die Bahnschienen zu. Er sah den Hut und stürmte los, bekam ihn mit seiner linken Hand zu fassen. Die teure Seide fühlte sich unter seiner rauen Haut eigenartig an. Die Dame kam angerannt. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen. Die großen blauen Augen hatten ein Funkeln wie ein Himmel aus tausend Sterne. Warum versteckt sie dies bloß, fragte er sich, als sie ihm lächelnd den Hut aus der Hand nahm und elegant an ihm vorbei Richtung Ausgang ging. Er sah ihr hinterher und lachte laut, bis sie sich noch einmal umdrehte. Nein, sie passte nicht hierher. Sie hatte ihre ganz eigene Geschichte.



Die Zeit rinnt durch meine Hände. Ich kann sie nicht greifen, nicht festhalten. Ich kann sie nicht berühren. Ich kann sie nur an mir vorbeirasen sehen. Sie hält nicht an. Das Leben hält nicht an. Vielleicht sollte ich aufhören anzuhalten. Vielleicht sollte ich anfangen anzufangen. Weil das alles hier ja irgendwie nichts Wert ist, wenn man unter der Sonne eines Anderen liegt. Und weil man es sich schuldig ist. Schuldig, das Leben irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Sein Kunstwerk zu vollenden und es irgendwann auf einer Vernissage auszustellen. Die staunenden Blicke anderer Menschen zu sehen, die dich bewundern, beneiden, vielleicht auch verachten. Und am Ende des Tages nimmst du es wieder mit in dein kleines Zimmer und betrachtest es selbst. Die Farbverläufe, die Konturen. Bist du zufrieden mit deinem Werk?



Dienstag, 9. Dezember 2014
Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings die Erde zum beben bringen kann, kann dann nicht auch ein Lächeln die Welt für sechs Sekunden zum Stillstand bringen? Kann dann nicht auch ein Lachen einen Vulkanausbruch verursachen und eine Träne riesige Stürme übers Land ziehen lassen? Doch wenn so kleine Dinge die Welt verändern können, warum tun wir es dann nicht? Die Fußabdrücke eines Babys können irgendwo Gebirge hochziehen. Ein Schrei kann ein Echo über tausende Jahre am Leben halten. Doch wenn so kleine Dinge die Welt verändern können, warum tun wir es dann nicht? 7 000 000 000 Lachen. Was würde das für eine Explosion geben. Alles wäre anders, oder?



Sonntag, 7. Dezember 2014
Tränen, Tränen. Überall dieses salzige Nass. Voller Erinnerungen an Lachen und Leben. Glück. Und Angst davor, allein gelassen zu werden. Wie eine Familie aus der man als Waisenkind hervor geht. Das Herz unter der Brust schlägt schnell. Das Blut rast durch die Venen. Schmerzen, die Schlimmer sind als das Brechen der gesamten Knochen im Körper. Warum bleibt die Zeit nicht stehen? Warum rennt sie davon und nimmt einem alles, was man liebt und schätzt. Ein Schrei in der Nacht. Dann Stille. Lass' mich leben, flüstert er und fällt tot um.



Donnerstag, 4. Dezember 2014
„... in unendlich unsterblicher Liebe, dein Frank.“ Die Scherben eines Briefes, der nie gelesen wurde. Sie fallen in den Dreck. Ein Kind fährt mit seinem Fahrrad darüber. Sein Reifen platzt. Die Scherben haben sich festgesetzt. Die Worte machen alles kaputt. Und irgendwo leuchten die Sterne und irgendwo halten Frank und Anna sich an den Händen. Irgendwo zwischen den Sternen, nicht auf der Erde. Wie Engel, die auf ihr unveränderliches Schicksal hinab blicken und wissen, sie haben es geschafft. Sie haben alles verändert.



Dienstag, 2. Dezember 2014
Und wir rennen der Freiheit entgegen. Wir lieben die Person, die wir lieben wollen, denn Liebe ist kein Gesetz, sondern ein Gefühl, für jedermann zugänglich und ohne Grenzen. Wir werden niemals erwachsen, denn wer ist das schon? Wir halten uns fest und lassen keinen mehr alleine. Lassen niemanden gehen. Denn die Abenteuer geschehen hier und jetzt und das kann uns keiner nehmen. Und auch wenn wir den anderen manchmal nicht mögen, wir lieben ihn wie unser Fleisch und Blut. Und wir lachen als gäbe es keinen Morgen, denn eigentlich ist das auch nur eine Erfindung von irgendjemandem der vielleicht einfach erwachsen wurde. Denn das Leben stoppt nicht nach jedem Tag, sondern läuft immer weiter und weiter. Man muss es sich nur nehmen.



Montag, 1. Dezember 2014
Der Tropfen Blut, der hervortritt wenn man sich an dem Dorn einer Rose schneidet, ist rot. Die Rose ist wunderschön. Doch warum hat gerade das Schöne immer etwas gefährliches, ja schon verletzliches an sich, denkt ein Jüngling. Er bricht die Dornen einer ganzen Blume ab. Zurück bleibt eine Haut voller Narben. Die Rose ist nun hässlich.



„Ich war auf der ganzen Welt. Habe jedes Land gesehen, jede Sprache gehört. Bin eine Klippe hinunter gesprungen, bis zu den tiefsten Grotten getaucht. War in den unheimlichsten Höhlen und habe die wildesten Bestien besiegt. Und dann sehe ich dir einen kurzen Augenblick in die Augen und weiß: Du bist mein größtes Abenteuer!“ Sein Flüstern hält mich wach. Die ganze Nacht. Er ist ein Meister der Worte. Ich hasse ihn!



Samstag, 29. November 2014
Brandnarben auf der Haut. Zerrissene Klamotten auf dem Boden. Die Möbel verstaubt. Überall Blut. Soviel Blut. Nicht ihres. Ratten die an den Knochen naben. Ihre Mutter ruft sie zum Essen. Sie antwortet, zieht sich um und verlässt das Zimmer. Der letzte Engel ist geflogen. Schon vor langer Zeit.



Mittwoch, 26. November 2014
Der Regen rinnt die Fenster eines Klassenzimmers hinunter. Tropfen um Tropfen treiben sie nach unten. Kinder spielen in den Pfützen. Halten sich aneinander fest. Sind nass bis auf die Haut. Und wenn schon. Eine ältere Dame lässt ihren Hund von der Leine. Er rennt zu den Kindern, spritzt mit dem Wasser, macht sich schmutzig. Und wenn schon. Jugendliche tanzen zu lauter Musik auf dem nassen Rasen. Angelockt von dem Lärm schauen die Nachbarn aus den Fenstern. Und wenn schon. Irgendwo am Rande der Stadt strampelt ein Kind im Wasser. Hat keine Kraft mehr. Ertrinkt. Und wenn schon?



Dienstag, 25. November 2014
„Gib' mir welche von deinen Stacheln. Ich brauche sie um mich zu schützen!“, sagt die Maus zum Igel. Er gibt sie ihr. Tag ein und Tag aus tut er dies und verteilt seine Stacheln, bis er irgendwann nackt und schutzlos dasteht. Ein Habicht fliegt vorbei und frisst ihn. Er hielt den Igel für eine Maus.



Montag, 24. November 2014
Einst fragte der Mond die Sonne: „Jede Nacht strahlst du mich an, damit ich nicht in der Dunkelheit versinke. Du nimmst mehr Arbeit auf dich, nur damit ich zu sehen bin und die Menschen wissen, dass ich existiere. Warum?“ Darauf erwidert die Sonne: „Warum hungern Eltern, damit ihre Schützlinge eine wohlhabende Mahlzeit bekommen? Warum frieren Menschen, damit ihre Familie mehr Wärme bekommt?“ Daraufhin beschloss der Mond nie wieder zwischen den Sternen zu scheinen