Sie kam aus dem kleinen Café an der Straßenecke. Ihre Louboutin klapperten auf dem Asphalt, als sie die Allee hinunter lief. Ihr Gesicht war unter einer großen, schwarzen Sonnenbrille und einem mächtigen Schlapphut versteckt. Die roten Lippen waren gespitzt. Sie mochte das Gefühl andere Leute ansehen zu können, ohne dabei ertappt zu werden. Sie war die stille Beobachterin, eine Zuschauerin, der Geschehnisse des Alltags anderer Menschen. Der Wind ließ ihren Wollschal wehen und sie schlug ihren Kragen hoch. Die Dame verschwand hinter einer Ecke.

Er schlurfte mit dem Farbeimer in der Hand planlos durch die Stadt. Kein festes Ziel vor Augen, keiner der auf ihn wartete. Seine Latzhose war mit Farbe beschmiert, die Mütze saß schief auf seinen dunklen Locken. Die Menschen musterten ihn, bemerkten seinen Fehler und schauten verlegen weg. Er kannte sie alle. Die Blicke. Die weit aufgerissenen Augen. Die erstaunten Falten auf der Stirn, wenn sie sahen, dass sein rechter Arm fehlte. Ja, sie nannten dies einen Fehler, dabei war der See aus Egoismus und Furcht vor Menschen die anders waren, ein viel größerer.

Selbstbewusst ging sie ihren Weg. Innerlich angespannt. Die U-Bahn Station war nur noch ein paar Blocks entfernt. Sie wollte die Überlegene sein. Die Schöne. Die Reiche. Keine U-Bahnfahrerin. Keine die auf den gelben Plastiksitzen müde zwischen den Obdachlosen und Müttern mit ihren dutzend Kindern saß. Dies war nicht ihre Welt. Die Bäume warfen ihr Herbstlaub ab, ein Blatt verfing sich in ihrem roten Haar. Eine Träne lief über ihre Wange.

Er entschied sich dafür, die Nacht im Bahnhof zu verbringen. Halbwegs annehmbares Klima, weniger Betrunkene und Spinner als unter der Brücke. Seine dunklen Augen suchten sich einen Weg durch das Gedränge zum U-Bahn Schacht. Er mochte Bahnhöfe. Ein ständiges Kommen und Gehen. Jeder ein anderes Ziel. Eine andere Geschichte. Aber dennoch alle am gleichen Ort versammelt für einen kurzen Augenblick, bis sie in den nächsten Zug einstiegen oder die Treppen hinauf zur Straße nahmen. Er setzte sich auf eine Bank, die Füße von sich gestreckt, beobachtete er die Leute.

Sie stieg die Stufen hinunter. Die Sonnenbrille gerade gerückt, die Handtasche fest umklammert. Ihr einziger Anker in dieser anderen Welt. Die Hektik überflutete sie wie eine Welle, als sie die Bahnhofshalle betrat und sie versank in dem Meer von Menschen, die alle in verschiedenen Richtungen an ihr vorbei strömten. Ein einarmiger Maler saß auf einer Bank. Er beobachtete sie. Sie gehörte nicht hier her. Hatte ein anderes Leben. Außerhalb der versiften und verklebten U-Bahn Hallen. Die Bahn fuhr ein. Laut quietschend versuchte sie zum Stehen zu kommen. Ein warmer Luftzug kam beim Einfahren aus dem U-Bahn Schacht und wirbelte ihr den großen Hut vom Kopf. Ihre roten Locken flogen herum, sie wollte den Hut greifen doch er flog auf die Bahnschienen zu. Er sah den Hut und stürmte los, bekam ihn mit seiner linken Hand zu fassen. Die teure Seide fühlte sich unter seiner rauen Haut eigenartig an. Die Dame kam angerannt. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen. Die großen blauen Augen hatten ein Funkeln wie ein Himmel aus tausend Sterne. Warum versteckt sie dies bloß, fragte er sich, als sie ihm lächelnd den Hut aus der Hand nahm und elegant an ihm vorbei Richtung Ausgang ging. Er sah ihr hinterher und lachte laut, bis sie sich noch einmal umdrehte. Nein, sie passte nicht hierher. Sie hatte ihre ganz eigene Geschichte.